Thomas Jefferson als Virtuose der Öffentlichkeit? Politiker-Intellektuelle in Nordamerika zur Revolutionszeit

Schlussbemerkungen

Hanno Scheerer

<1>

Betrachtet man Jeffersons Rolle und sein Selbstverständnis als Philosoph, die Publikationsgeschichte seiner Werke und deren Rezeption in politischen Pamphleten, so lassen sich interessante Rückschlüsse auf die Rolle von amerikanischen Intellektuellen zur "Sattelzeit" ziehen.

<2>

Der Politiker-Intellektuelle war ein dezidiert amerikanischer Typus des Intellektuellen, der unter den spezifischen Bedingungen kolonialer und revolutionärer politischer Verhältnisse entstanden ist. Die amerikanische Revolution wurde in weiten Teilen von einer schon zur Kolonialzeit politisch aktiven, intellektuellen Elite getragen und speiste sich aus ihren theoretischen Überlegungen. Diese enge Verzahnung von Intellektualität und politischer Macht fand jedoch bald nach der Revolution ihr Ende. Durch die zunehmende Demokratisierung des politischen Lebens in Amerika mussten sich Politiker-Intellektuelle gegenüber einer potenziellen Wählerschaft für ihre intellektuellen Äußerungen rechtfertigen. Radikale oder gesellschaftskritische Positionen waren gefährlich, da sie von politischen Gegnern gezielt für propagandistische Zwecke ausgeschlachtet werden konnten, wie Thomas Jefferson erfahren musste.

<3>

Der Antintellektualismus in der frühen demokratischen Gesellschaft der USA ging sogar so weit, Intellektuellen – unabhängig von ihren konkreten Ideen und Gedanken – die Eignung zum Politiker abzusprechen. Die breite Öffentlichkeit forderte zusehends den 'anpackenden' Politiker, den 'common man' aus ihren Reihen, der Probleme pragmatisch löste und sich nicht in philosophischen Diskussionen verstrickte. [1] Widersprüchliche und teils utopische Ideen, wie sie der Intellektuelle Jefferson formulierte, konnten von Politikern nicht mehr geäußert werden. Wie früh diese Entwicklung in den USA einsetzte, zeigt die Tatsache, dass Jefferson bereits 1796 – zwanzig Jahre nach der Revolution – seine Intellektualität zum Vorwurf gemacht wurde.

<4>

Politiker-Intellektuelle mussten sich zwischen 1776 und 1800 an eine radikal veränderte Öffentlichkeit anpassen. Jefferson hatte mit seinen intellektuellen 'Ergüssen' stets eine ihm gleichgestellte, ebenso gebildete und intellektuelle, eingeschränkte Öffentlichkeit im Blick. Dieser gegenüber sah er sich insofern als 'Virtuose der Öffentlichkeit', als er hoffte, dass die Teilung seiner Gedanken Denkprozesse in Gang setzen könnte. Als Politiker sah er sich in den USA jedoch bald einer anderen Öffentlichkeit ausgesetzt – einer Öffentlichkeit, die alle Gesellschafts- und Bildungsschichten umfasste. Diese Öffentlichkeit wertete Jeffersons Aussage im Hinblick auf seine politische Tätigkeit und schränkte seinen Gedankenfreiraum ein: die für Intellektuelle typische, differenzierte Betrachtung gesellschaftlicher Probleme war für Jefferson nun nicht mehr möglich. Insofern wirft eine Analyse der Politiker-Intellektuellen zur "Sattelzeit" in Nordamerika auch ein Licht auf die grundsätzliche Frage, ob Politiker in demokratischen Gesellschaften gleichzeitig Intellektuelle sein können und umgekehrt. Wie de Tocqueville 1840 feststellte, muss diese Frage klar verneint werden.

Anmerkungen

[1] Vgl. Gordon S. Wood: The Founding Fathers and the Creation of Public Opinion, in: Arthur M. Melzer / Jerry Weinberger / M. Richard Zinman (Hg.): The Public Intellectual. Between Philosophy and Politics, Lanham / Maryland 2003, 67-90, hier: 68.

Empfohlene Zitierweise
Hanno Scheerer, Thomas Jefferson als Virtuose der Öffentlichkeit? Politiker-Intellektuelle in Nordamerika zur Revolutionszeit (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002/5), aus: Gudrun Gersmann, Friedrich Jaeger, Michael Rohrschneider (Hg.), Virtuosen der Öffentlichkeit? Friedrich von Gentz (1764-1832) im globalen intellektuellen Kontext seiner Zeit (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Schlussbemerkungen (Datum des letzten Besuchs).