Von Berlin nach Wien – Friedrich von Gentz als intellektueller Grenzgänger

Die Berliner Jahre

Alexandra Nebelung

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Im Jahr 1795 stieg Preußen aus dem drei Jahre zuvor begonnenen Koalitionskrieg gegen Frankreich aus. Im Basler Frieden erhielt Preußen die Oberhoheit über Norddeutschland und erkannte im Gegenzug die französische Annexion der linksrheinischen Gebiete an. [1] Dieser Frieden gab Preußen nicht nur neue Bedeutung als europäische Großmacht, sondern entsprach auch dem allgemeinen Wunsch der preußischen Bevölkerung. [2]

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Gentz wurde mit seiner Situation in Berlin immer unzufriedener. Die Herausgabe seiner Zeitschrift, das "Historische Journal", wurde von Friedrich Wilhelm III. 1799 beendet. Gentz hatte sich darin immer öfter kritisch mit möglichen Ausweitungen der Revolution auch auf das Heilige Römische Reich auseinandergesetzt. [3] Da Preußen weiterhin neutral bleiben wollte und Gentz' Schriften auch in Frankreich gelesen wurden, konnte man sich diese Opposition in den eigenen Reihen nicht erlauben. Er musste sich mit seinen Ansichten auch privat in Acht nehmen. So schrieb er seinem Freund Karl Gustav von Brinckmann 1799 nach Paris, dass er sich mit politischen Äußerungen in seinen Briefen zurückhalten werde, um den Freund nicht in Schwierigkeiten zu bringen. [4] Auch seine Position als Beamter wurde ungemütlicher, als 1798 sein Vorgesetzter wechselte und der neue Minister Otto von Voß ihm nicht mehr die gewohnten Freiheiten lassen wollte. [5] Mehr als seinen Aufgaben als preußischer Beamter widmete sich Gentz meist der Schriftstellerei und den Berliner Salons.

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Gentz war der Meinung, dass nur ein Krieg gegen Frankreich der Revolution ein Ende setzen würde, und rief nun mit allen Kräften zum Kampf auf. [6] Sein "Historisches Journal" beschäftigte sich fast ausschließlich mit der Außenpolitik und schloss 1800 mit einem Aufsatz "Ueber den ewigen Frieden", in dem dieser als nie wirklich erreichbares Ideal definiert wird. [7] Krieg sei ein Mittel der zwischenstaatlichen Beziehungen und in dieser Eigenschaft nicht als wirkliches Übel zu betrachten. [8] Es kam tatsächlich zu einem erneuten Krieg gegen Frankreich, allerdings ohne Preußen. Nachdem der Friede mit Frankreich 1799 gebrochen war, schloss Österreich sich der Allianz zwischen Großbritannien und Russland an. [9] In einem Brief an Johannes Müller vom 8. Mai 1799 begrüßt Gentz die zweite Koalition und schreibt: "[...] so würde dennoch mein erster und unerschütterlicher Grundsatz gewesen seyn, da es nur Eine Sache und nur Einen Feind giebt, alle andern Gefühle, Systeme und Maximen zu vertagen, bis jene große Sache ausgefochten, dieser Feind bekämpft ist." [10]

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Europa wurde jetzt sein neues Schlagwort, Gentz näherte sich der Politik des 18. Jahrhunderts und der Theorie des Gleichgewichts an. [11] 1801 erschienen zwei neue Bücher, "Ueber den Ursprung und Charakter des Krieges gegen die Französische Revoluzion" und "Von dem Politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revoluzion". [12] In beiden machte Gentz die Revolution für den Krieg und die Unordnung Europas verantwortlich und sah nur im Zusammenschluss aller Staaten eine Möglichkeit diesen Missstand zu beheben. [13] Auch die Idee eines Völkerbundes hatte er in seinem Artikel "Ueber den ewigen Frieden" schon aufgegriffen. [14] Gentz entwickelte hier keine neuen Ideen, dennoch griff er mit seinen Überlegungen zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit dem voraus, was sich zehn Jahre später auf dem Wiener Kongress erfüllen sollte.

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Mit seinen Publikationen machte sich Gentz in Preußen keine Freunde, im übrigen Europa wurde er aber gehört und teils auch begrüßt. In Großbritannien las der Premierminister William Pitt seine Aufsätze über England, und Gentz wurde als Schriftsteller für die britische Sache engagiert. [15] Auch der österreichische Botschafter in Berlin, Graf Stadion, bekundete Interesse. [16] Also verließ Gentz Berlin und machte sich Anfang des neuen Jahrhunderts auf die Reise. In Weimar traf er 1801 Goethe, Schiller und einige weitere Vertreter der deutschen Klassik und Romantik. 1802 reiste er weiter nach Wien, über Dresden und Böhmen. [17] In Dresden lernte Gentz Clemens von Metternich kennen, den er in einem Brief an Adam Müller im September 1802 schon als seinen Freund bezeichnete. [18] Diese Bekanntschaft sollte sich für ihn als nützlich erweisen, denn während seines ersten Aufenthaltes in Wien konnte Gentz den Kaiser nicht von sich überzeugen. Allein Graf Stadion, Metternich und der Außenminister Graf Cobenzl stellten sich auf Gentz' Seite. [19] Die Aufgabe, die Gentz erhielt, war allerdings unklar definiert. Er nannte sich zwar kaiserlicher Rat, bekam ein festes Gehalt und hatte sich zu publizistischen Tätigkeiten im österreichischen Dienst zur Verfügung zu stellen, Aufgaben bekam er jedoch vorerst nicht. [20]

Anmerkungen

[1] Vgl. Paul W. Schroeder: The Transformation of European Politics 1763-1848, Oxford 1994, 152.

[2] Vgl. Michael Erbe: Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785-1830, Paderborn u.a. 2004, 303.

[3] Vgl. Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik, Paderborn u.a. 2012, 131.

[4] Brief vom 6. Dezember 1799, in: Friedrich Carl Wittichen / Ernst Salzer (Hg.): Briefe von und an Friedrich von Gentz, 4 Bde., München / Berlin 1909-1913, hier Bd. 2, 66.

[5] Vgl. Zimmermann: Friedrich Gentz (wie Anm. 3), 112.

[6] Vgl. Zimmermann: Friedrich Gentz (wie Anm. 3), 136f.

[7] Vgl. Golo Mann: Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes, Zürich 1947, 66f. und Friedrich Gentz: Ueber den ewigen Frieden, in: ders. (Hg.): Historisches Journal, Dezember 1800, 711-790, hier: 718.

[8] Vgl. Gentz: Ueber den ewigen Frieden (wie Anm. 7), 774f.

[9] Vgl. Erbe: Revolutionäre Erschütterung (wie Anm. 2), 310f.

[10] Gustav Schlesier (Hg.): Schriften von Friedrich von Gentz. Ein Denkmal, 4. Teil, Mannheim 1840, 7.

[11] Vgl. Zimmermann: Friedrich Gentz (wie Anm. 3), 133.

[12] Vgl. Friedrich Gentz: Ueber den Ursprung und Charakter des Krieges gegen die Französische Revoluzion, Berlin 1801; ders.: Von dem Politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revoluzion, Berlin 1801.

[13] Vgl. Zimmermann: Friedrich Gentz (wie Anm. 3), 145ff.

[14] Vgl. Gentz: Ueber den ewigen Frieden (wie Anm. 7), 774f.

[15] Vgl. Mann: Friedrich von Gentz (wie Anm. 7), 74f.

[16] Vgl. Mann: Friedrich von Gentz (wie Anm. 7), 110.

[17] Vgl. Mann: Friedrich von Gentz (wie Anm. 7), 91ff. und 109.

[18] Vgl. den Brief Gentz' vom 18. September 1802, in: Wittichen / Salzer (Hg.): Briefe (wie Anm. 4), Bd. 2, 367 und Zimmermann: Friedrich Gentz (wie Anm. 3), 159.

[19] Vgl. Mann: Friedrich von Gentz (wie Anm. 7), 110f. und Zimmermann: Friedrich Gentz (wie Anm. 3), 160.

[20] Vgl. Zimmermann: Friedrich Gentz (wie Anm. 3), 160.

Empfohlene Zitierweise
Alexandra Nebelung, Von Berlin nach Wien – Friedrich von Gentz als intellektueller Grenzgänger (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002/2), aus: Gudrun Gersmann, Friedrich Jaeger, Michael Rohrschneider (Hg.), Virtuosen der Öffentlichkeit? Friedrich von Gentz (1764-1832) im globalen intellektuellen Kontext seiner Zeit (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Die Berliner Jahre (Datum des letzten Besuchs).