'Digitale Intellektuelle': Ego-Dokumente und Selbstzeugnisse in digitalen Datenbanken
Fazit
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass, obwohl die begriffliche und quellenkundliche Debatte um 'Ego-Dokumente' und 'Selbstzeugnisse' größtenteils abgeklungen ist, noch lange keine allgemeingültige Einigkeit über ihren Gebrauch herrscht. Unbestritten ist, dass Selbstzeugnisse Aussagen des Autors über die eigene Selbst- und Fremdwahrnehmung enthalten und damit über die alltägliche Lebenswelt des Autors und seine Ich-Konstruktion Auskunft geben können. Auch herrscht Konsens über die Beiordnung von Ego-Dokumenten und Selbstzeugnissen. Für die weitere Unterteilung der Selbstzeugnisse schlägt von Krusenstjern die Kategorisierung nach Quantität der Selbstaussagen bzw. der Selbstbezogenheit der Texte vor. Dies ermöglicht zwar, dass über die formale Unterscheidung der Quellen nach Textgattung hinausgegangen werden kann, rückt man aber die Mechanismen der Ich-Konstruktion in den Fokus, wie es beispielsweise Andreas Bähr tut, ist die Frage nach der Quantität der Selbstaussagen weniger von Bedeutung. Der kommunikationspragmatische Ansatz von Volker Depkat lenkt den Blick auf die Beziehung zwischen Autor und Rezipient und ist damit für viele Fragestellungen der Geschichtswissenschaft, aber auch der Nachbardisziplinen, die sich ebenfalls mit Selbstzeugnissen beschäftigen, sinnvoll.
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Ein ähnlich uneinheitliches Bild bietet sich auch für die Intellektuellengeschichte. Weitgehender Konsens besteht lediglich über die Unterscheidung zwischen einem "weiten" und einem "engen" Intellektuellenbegriff, wie zum Beispiel von Isabella von Treskow vorgeschlagen. Der weite Begriff ist jedoch nahezu gleichbedeutend mit 'Gelehrten' oder der 'geistigen Elite' und hat damit für die Forschung kaum einen Mehrwert. Auch der enge Begriff ist für die Frühe Neuzeit nicht unproblematisch, denn die moderne Öffentlichkeit existierte damals nicht. Auch Ab- bzw. Unabhängigkeit von der eigenen sozialen Gruppe ist für die Frühe Neuzeit nicht denkbar. Es bleibt jedoch die Fähigkeit, aufgrund des erreichten Bildungsniveaus über die eigene Person und die Umwelt kritisch zu reflektieren und Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Strukturen oder den Machthabern zu üben. Der von Rainer Bayreuther und anderen geäußerte Vorschlag, sich deswegen für die Frühe Neuzeit mit den Kommunikationsbedingungen sowie den Grenzen und Möglichkeiten der Kritikausübung zu beschäftigen, um den frühneuzeitlichen Intellektuellen zu beschreiben, ist daher naheliegend. Die Untersuchung von Ego-Dokumenten, die sich ebenfalls mit Selbstreflexion und Ich-Konstruktion beschäftigen, ist dabei eine Möglichkeit, die eigene Selbstwahrnehmung der Akteure als solche zu untersuchen und sie einmal selbst zu Wort kommen zu lassen. Dies hat bisher kaum stattgefunden.
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Die hier vorgestellten Datenbanken zeigen einerseits eine immer noch bestehende Schwierigkeit mit Selbstzeugnissen als Quellengattung auf, nämlich den uneinheitlichen und zum Teil sogar schlicht wenig reflektierten Begriff 'Selbstzeugnis'. Angesichts der immer noch steigenden Nachfrage nach diesen Quellen ist dies auch zukünftig ein bei weitem noch nicht abschließend bearbeitetes Feld. Andererseits exemplifizieren die Datenbanken aber auch die unterschiedlichen Fragestellungen und Zielsetzungen bei der Untersuchung von Selbstzeugnissen. Hierin liegt gleichsam eine wichtige Perspektive für die weitere Forschung, und zwar die interdisziplinäre Arbeit an einem Quellenkorpus, die den Blick über den eigenen Tellerrand ermöglicht und die Vielschichtigkeit gerade von Selbstzeugnissen erst vollends zur Geltung kommen lassen kann.
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Gerade in Bezug auf die Intellektuellengeschichte bieten die hier vorgestellten Selbstzeugnisdatenbanken, aber auch generell die Digitalisierung und Aufbereitung von Quellen eine wichtige Forschungsgrundlage. Sie tragen dazu bei, die unterschiedlichen Ausprägungen intellektuellen Handelns auf einer viel größeren Quellengrundlage vergleichen zu können, als es bisher möglich war. Dies betrifft zum Beispiel die verschiedenen Ursachen, die die Akteure aktiv werden lassen, in synchroner und diachroner Perspektive, die äußere Form der Aktivität, die Adressaten intellektuellen Handels, die verschiedenen Absichten sowie nicht zuletzt die Veränderung der Möglichkeiten und Grenzen, an die die Akteure der verschiedenen Epochen gebunden waren. Besonders Ego-Dokumente, in denen die Autoren selbst über ihre Rolle reflektieren, sind hierfür ein sinnvoller Ausgangspunkt. Dass sich digitale Datenbanken, wie auch die hier vorgestellten, dabei unterschiedlichen inhaltlichen und formalen Schwerpunkten verschreiben, macht gleichzeitig ihren Reiz für die Intellektuellengeschichte aus, weil sie nur so die gesamte Bandbreite intellektuellen Handelns aufzeigen können. Darüber hinaus ermöglichen digitale Datenbanken auch das interdisziplinäre Zusammenarbeiten von Wissenschaftlern, sodass nicht nur ein epochenübergreifender Konsens über die Frage "Was ist ein Intellektueller?" gefunden werden könnte, sondern auch ein fächerübergreifender, der das Konzept überhaupt erst fruchtbar für die weitere Forschung macht.
Empfohlene Zitierweise
Rebecca van Koert, 'Digitale Intellektuelle': Ego-Dokumente und Selbstzeugnisse in digitalen Datenbanken (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002/8), aus: Gudrun Gersmann, Friedrich Jaeger, Michael Rohrschneider (Hg.), Virtuosen der Öffentlichkeit? Friedrich von Gentz (1764-1832) im globalen intellektuellen Kontext seiner Zeit (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Fazit (Datum des letzten Besuchs).