Friedrich von Gentz (1764-1832) ‒ ein Intellektueller avant la lettre? Beobachtungen anhand der Quellenpublikation "Gentz digital"
Ein neues Quellenkorpus
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Der zitierte Brief an Esterházy aus dem Jahr 1816 ist Bestandteil einer größeren digitalen Quellenpublikation, die jüngst zu Friedrich von Gentz realisiert werden konnte: "Gentz digital".
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"Gentz digital" hat eine interessante Entstehungsgeschichte. Diese Quellenpublikation geht nämlich auf die sogenannte "Sammlung Herterich" der USB Köln zurück, die gewissermaßen ein 'virtuelles Archiv' der umfangreichen, weltweit verstreuten Gentz-Korrespondenz darstellt.
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Für die Forschung ist die "Sammlung Herterich" ein echter Glücksfall: Sie enthält umfangreiches Material, das nicht nur die Gentz-Forschung auf eine neue Grundlage stellt, sondern darüber hinaus auch für die Erforschung der vielgestaltigen Transformationsprozesse um 1800 insgesamt von großer Relevanz ist. Sammlungsschwerpunkte sind die Werke Gentz', seine Tagebücher, Sekundärliteratur zu Gentz und seiner Zeit, die umfangreiche Korrespondenz Herterichs mit Archiven, Bibliotheken und Privatpersonen zur Ermittlung von Gentz-Material und insbesondere, als eigentlicher Kern der Sammlung, die Briefe von und an Gentz.
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Die mit dem Ziel einer Edition von Herterich zusammengetragene Gentz-Korrespondenz liegt in unterschiedlichen Überlieferungsformen in der "Sammlung Herterich" vor. Neben wenigen Originalen enthält die Sammlung bereits vorliegende ältere Drucke und als Xerokopien bzw. auf Mikrofilm umfangreiches Briefmaterial aus zahlreichen Archiven, Bibliotheken und sonstigen Institutionen weltweit. Auf Grundlage dieser Mikrofilme und Xerokopien hat Herterich Transkriptionsentwürfe zu den Gentz-Briefen angefertigt. Diese Transkriptionen liegen in unterschiedlichen Überlieferungsformen vor (handschriftlich, mit Schreibmaschine getippt, elektronisch in Dateiform). Wenn es ihm zeitlich und finanziell möglich war, hat Herterich sie vor Ort am Original überprüft.
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Die in digitaler Form erhaltenen Transkriptionen Herterichs bilden das Fundament von "Gentz digital". Erklärtes Ziel dieser Quellenpublikation ist es, den in eine standardisierte Form gebrachten letzten Stand der unvollendeten Sammlungs- und Transkriptionstätigkeit Herterichs abzubilden.
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Von den 2.675 in "Gentz digital" präsentierten Briefen sind weit über 50 Prozent bisher überhaupt noch nicht gedruckt worden. Hinzu kommt, dass zahlreiche der bereits bekannten Briefe bislang nur auszugsweise oder sogar fehlerhaft abgedruckt wurden. In diesen Fällen hat Herterich mit seinen Transkriptionsentwürfen wichtige Ergänzungen und Fehlerberichtigungen vornehmen können. Stichproben haben zudem ergeben, dass die Qualität der Herterich-Transkriptionen insgesamt gesehen außerordentlich hoch zu veranschlagen ist. Herterich hat sich jahrelang intensiv mit der Handschrift Gentz' befasst und war daher in der Lage, dessen Schrift ‒ von einigen wenigen Ausnahmen vielleicht abgesehen ‒ fehlerfrei zu lesen. Hinzu kommt, dass er bei seinen Transkriptionen nach festen editionstechnischen Regeln vorgegangen ist, da er eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Edition der Gentz-Korrespondenz vorlegen wollte. Hierzu zählen der standardisierte Aufbau seiner geplanten Präsentation der einzelnen Briefe mit Kopfregest, Quellentext und Fußregest sowie der Verzicht auf Eingriffe in die Orthografie und Interpunktion des Originals.
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Die Bearbeitung der 2.675 Objekte für "Gentz digital" erfolgte nach dem Prinzip "Vereinheitlichungen ja, inhaltliche Eingriffe nein". Das heißt sowohl für die Kopf- und Fußregesten als auch für die eigentlichen Quellentexte wurde weitgehend diejenige standardisierte Form gewählt, die Herterich vorgesehen hat und die auch dem gängigen Prozedere in wissenschaftlichen Editionen entspricht. Die eigentlichen Brieftexte werden in "Gentz digital" in aller Regel vollkommen unverändert präsentiert, da es im Rahmen dieses Vorhabens nur ausnahmsweise möglich war, die Transkriptionsentwürfe Herterichs anhand der Originale selbst zu überprüfen. Lediglich interne Bearbeitungshinweise Herterichs (wie zum Beispiel fragmentarische Vermerke zur geplanten Kommentierung) und offenkundige Fehler wurden getilgt. Darüber hinaus wurden die Metadaten der Gentz-Korrespondenzen erschlossen und verzeichnet.
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"Gentz digital" enthält mehrere Suchfunktionen, die für die Forschung einen erheblichen Zugewinn bedeuten, denn mit geringem Aufwand lassen sich damit gezielte begriffsgeschichtliche Studien betreiben, Personen und Ereignisse auffinden, Quellen- und Literaturrecherchen vornehmen usw. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, dass Gentz in deutscher und französischer Sprache korrespondiert hat. Wer zum Beispiel begriffsgeschichtlich arbeiten will, sollte neben dem deutschen Suchbegriff daher vergleichend auch das französische Pendant berücksichtigen.
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Insgesamt gesehen lässt sich konstatieren, dass die mit "Gentz digital" präsentierten 2.675 Objekte zwar das Fehlen einer historisch-kritischen Edition der Gentz-Korrespondenz nicht kompensieren können; ein solches Editionsvorhaben ließe sich aufgrund der großen Materialmenge ‒ aktuell schätzen wir, dass etwa 7.000 Briefe von und an Gentz insgesamt überliefert sind ‒ nur im Rahmen eines großen, langfristigen Forschungsvorhabens realisieren. Das in "Gentz digital" versammelte umfangreiche Quellenmaterial wäre aber eine hervorragende Ausgangsbasis für ein solches Editionsprojekt und dokumentiert eindrucksvoll, dass die Aussagekraft der Gentz-Briefe im Hinblick auf die allgemeine Erforschung der vielgestaltigen Transformationsprozesse des späten 18. und der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts kaum zu überbieten ist.
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Dies gilt auch und gerade für Studien zur Entstehung des modernen 'public intellectual'. "Gentz digital" verfügt über eine ganze Reihe von Zugriffsmöglichkeiten ‒ inhaltliche Einführungen, Register, Übersichten mit 'clouds' (Jahr, Ort, Briefempfänger) sowie verschiedene Suchfunktionen ‒, mit denen man entsprechenden Fragestellungen nachgehen kann. So ergibt eine Volltextsuche zum Wortfeld "intellektuell / intellectuel" aussagekräftige Befunde. Auf den Brief Gentz' an Esterházy vom 15. Januar 1816 wurde bereits hingewiesen.
Anmerkungen
Empfohlene Zitierweise
Michael Rohrschneider, Friedrich von Gentz (1764-1832) ‒ ein Intellektueller avant la lettre? Beobachtungen anhand der Quellenpublikation "Gentz digital" (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002/9), aus: Gudrun Gersmann, Friedrich Jaeger, Michael Rohrschneider (Hg.), Virtuosen der Öffentlichkeit? Friedrich von Gentz (1764-1832) im globalen intellektuellen Kontext seiner Zeit (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Ein neues Quellenkorpus (Datum des letzten Besuchs).