Die Korrespondenz des Friedrich von Gentz mit dem Internuntius Franz Freiherr von Ottenfels-Gschwind in den Jahren 1822-1825

Der historische Kontext: Die 1820er Jahre

Christian Maiwald

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Nach dieser Erläuterung der beiden Hauptakteure gilt es, deren Korrespondenz zu kontextualisieren. Unabdingbar sind dabei einige Verweise auf die sogenannte 'Orientalische Frage'. Ein Zitat des mittlerweile emeritierten Mainzer Neuzeit-Historikers Winfried Baumgart erklärt das Phänomen wie folgt:

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"Was bedeutet die Orientalische Frage? Im weitesten Sinne ist sie die Summe der Probleme, die sich aus 'dem Rückzug des Islams aus Europa und Asien' und auch aus Afrika ergaben. Im engeren, die europäische Geschichte unmittelbar betreffenden Sinne umfaßt sie die Probleme, die mit dem Rückzug der Türken aus Europa zusammenhängen. Sieht man von den feineren Schichten dieses komplexen Problems ab und konzentriert sich auf die stärkeren Lagen, lassen sich deren drei unterscheiden: der Zerfall der osmanischen Macht im Innern; das nationale Erwachen der von den Türken beherrschten Völkerschaften, vor allem der Balkanvölker, sowie das Eingreifen der europäischen Mächte in diesen Zerfallsprozeß, das auf ihre Beziehungen untereinander entscheidend zurückwirkte". [1]

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In diesen durchaus vielschichtigen Problemkomplex muss man auch den griechischen Unabhängigkeitskrieg einordnen. Dieser Kampf der Griechen um Unabhängigkeit von der türkisch-osmanischen Fremdherrschaft kann zum besseren Verständnis in zwei Schritten thematisiert werden, auch wenn die beiden Konfliktebenen aufeinander bezogen und nicht zu trennen sind. [2]

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Die eine Konfliktebene betrifft die direkten griechisch-osmanischen Auseinandersetzungen. Nach dem Beginn der Erhebung im März 1821 unter Alexander Ypsilantis, einem russischen General und Phanarioten, konnten sich die Griechen militärisch durchaus erfolgreich gegen die osmanischen Streitkräfte behaupten. Ein Wendepunkt trat erst im Frühjahr 1825 ein, als ein ägyptisches Expeditionsheer unter dem Oberbefehl Ibrahim Paschas auf der Peloponnes landen und entscheidende militärische Siege erringen konnte. Nach der Eroberung der griechischen Bastion Missolonghi in Westgriechenland im April 1826, die in der gesamteuropäischen Öffentlichkeit zu einem Medienereignis stilisiert wurde, [3] schien der Aufstand jedoch an sein militärisches Ende gelangt zu sein. Die Griechen wären wohl erneut unter osmanische Herrschaft geraten. Dass dies allerdings nicht geschah, lag an wegweisenden Entscheidungen der anderen Konfliktebene, nämlich der 'griechischen Frage' in den europäischen Kabinetten, die ergänzend zu thematisieren ist.

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Die Prämisse der österreichischen Außenpolitik lautete, die Konflikte um die griechische Unabhängigkeit von den russisch-türkischen Spannungen strikt zu trennen. Österreichs Interesse lag beim Erhalt und der Stabilisierung des fragilen Osmanischen Reiches, um den Status quo auf dem Balkan zu erhalten und dem Nationalitätsprinzip entgegenzuwirken, welches schließlich auch für das Vielvölkerreich der Habsburger eine Gefahr darstellen konnte. Derart sind die Moderationsversuche der österreichischen außenpolitischen Akteure Metternich, Gentz und Ottenfels zu verstehen, die ein kollektives, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen intendierendes Vorgehen der europäischen Mächte bis ins Frühjahr 1826 zu verhindern wussten.

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Das schlussendliche Scheitern dieser politischen Versuche, eine Intervention der europäischen Großmächte zu verhindern, ist vorrangig mit drei Faktoren zu begründen. Erstens, der Inthronisation des neuen, expansionswilligen Zaren Nikolaus I. im Jahre 1825. Zweitens, einer Veränderung der britischen Außenpolitik, die zu einem Zusammenkommen der europäischen 'Flügelmächte' Großbritannien und Russland führte und somit das europäische Gleichgewichtssystem untergrub. Und drittens, einem "philhellenische[n] Gefühlsüberschwang" [4] in der europäischen Öffentlichkeit, der die Regierungen weiter unter Druck setzte, zugleich aber auch durch seine humanitäre Argumentationsweise eine willkommene Legitimation für Interessenpolitik lieferte.

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Die entscheidenden Stationen dieser Entwicklung waren das Petersburger Protokoll zwischen Großbritannien und Russland im April 1826; der Londoner Vertrag mit der Bildung einer 'Triple-Allianz' zwischen Großbritannien, Russland und Frankreich im Juli 1827, "der eine Autonomie Griechenlands als Lösungsmöglichkeit anvisierte"; [5] die völkerrechtswidrige Vernichtung der ägyptisch-türkischen Kriegsflotte in der Seeschlacht von Navarino am 20. Oktober 1827 und schließlich ein russisch-türkischer Separatkrieg, der im September 1829 im Frieden von Adrianopel beendet wurde. Nachdem das Osmanische Reich derart geschwächt worden war, konnte auf der Londoner Konferenz 1830 die Unabhängigkeit eines griechischen Nationalstaats beschlossen werden.

Anmerkungen

[1] Winfried Baumgart: Die 'Orientalische Frage' - redivivus? Große Mächte und kleine Nationalitäten 1820-1923, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 28 (1999), 33-55, hier: 35f.

[2] Vgl. hierzu und im Folgenden Edgar Hösch: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, 5., aktualisierte und erweiterte Aufl., München 2008, 113-123 und 167-170; ferner zum griechischen Unabhängigkeitskrieg Ioannis Zelepos: Griechischer Unabhängigkeitskrieg (1821-1832), in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2015-06-12, http://ieg-ego.eu/de/threads/europaeische-medien/europaeische-medienereignisse/ioannis-zelepos-griechischer-unabhaengigkeitskrieg-1821-1829 <16.02.2016>.

[3] Ein vielsagendes Beispiel stellt das berühmte Gemälde des französischen Malers Eugène Delacroix "La Grèce sur les ruines de Missolonghi" aus dem Jahre 1826 dar.

[4] Hösch: Balkanländer (wie Anm. 2), 118.

[5] Hösch: Balkanländer (wie Anm. 2), 118.

Empfohlene Zitierweise
Christian Maiwald, Die Korrespondenz des Friedrich von Gentz mit dem Internuntius Franz Freiherr von Ottenfels-Gschwind in den Jahren 1822-1825 (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002/4), aus: Gudrun Gersmann, Friedrich Jaeger, Michael Rohrschneider (Hg.), Virtuosen der Öffentlichkeit? Friedrich von Gentz (1764-1832) im globalen intellektuellen Kontext seiner Zeit (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Der historische Kontext (Datum des letzten Besuchs).