Intellektuellenkommunikation als Forschungsfeld
Die Fähigkeit der Mediennutzung
Friedrich Jaeger
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Die angesichts der Dynamik digitaler Medien unsicher gewordene Zukunft der Intellektuellen wirft zweitens Fragen nach ihrer bisherigen Entwicklung auf und lässt die Geschichte ihrer Mediennutzung in neuem Licht erscheinen. [1] Methodisch steht dabei weniger die politische Ideengeschichte im Sinne der 'intellectual history' [2] im Zentrum, als vielmehr die Untersuchung der kommunikativen Netzwerke, [3] kulturellen 'Konstellationen' [4] und medialen Felder, in denen sich der öffentliche Einfluss von Intellektuellen manifestiert. Denn in historischer Perspektive haben sie es verstanden, die Verstärkereffekte der Medien in ihrer jeweiligen Epoche kompetent zu nutzen, [5] um sich im Sinne des 'agenda setting' als markante Instanzen der öffentlichen Meinungsbildung zu etablieren. Die Geschichte dieser Medienaneignung gilt es zu rekonstruieren, um die aktuellen medialen Umbrüche [6] und ihre Folgen für die tradierten Formen der Intellektuellenkommunikation historisch einordnen zu können.
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Die Frühe Neuzeit erscheint in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, weil sich mit den in dieser Epoche auftauchenden Schrift- und Druckmedien eine tiefgreifende Transformation des öffentlichen Raums verband. [7] Hier bildeten sich erstmals die Voraussetzungen für eine Kommunikation unter Fremden, was in der gegenwärtigen Forschung mit dem Begriff der Kommunikationsrevolution zum Ausdruck gebracht wird. [8] Doch bereits vorher hatten sich die humanistischen Gelehrten zu "Medienexperten" [9] innerhalb der res publica litteraria, der frühneuzeitlichen Gelehrtenrepublik, entwickelt und sich gegenüber der Infrastruktur einer neuen Medienkultur geöffnet, die sie im Interesse öffentlicher Wirksamkeit zu nutzen verstanden. Exemplarisch zeigt sich dies an der Entwicklung von der zwischen Privatheit und Öffentlichkeit oszillierenden humanistischen Gelehrtenkorrespondenz [10] als dominierendem "Kommunikationsmodell" [11] frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit hin zu dem neuen Genre der Gelehrtenjournale, die eine sich rasch dynamisierende Zirkulationssphäre des Wissens schufen. Wie die seit 1665 erscheinenden "Philosophical Transactions" der Londoner Royal Society oder die seit 1682 in Leipzig erscheinenden "Acta eruditorum" exemplarisch zeigen, verbreiteten sie sich seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts europaweit und differenzierten sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch zunehmend fachspezifisch aus.
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In der Gegenwart gehen von den digitalen Medien und der Formierung einer durch sie geprägten 'Netzöffentlichkeit' jedoch völlig neue Herausforderungen für die Intellektuellen und deren Formen öffentlicher Intervention aus. Dabei ist auch die Frage nach dem Wandel des Publikums zu berücksichtigen, mit dem die Intellektuellen jeweils interagieren und dessen Akteure die Öffentlichkeit überhaupt erst konstituieren. Wurde dieses Publikum der zur Öffentlichkeit versammelten Privatleute traditionell als das sozialstrukturelle Substrat der 'bürgerlichen Gesellschaft' begriffen, [12] so zeichnen sich im Rahmen der neuen, zunehmend global und transnational ausgerichteten digitalen Medienöffentlichkeiten zivilgesellschaftliche Akteursgruppen ab, die sich mit einer dem 19. Jahrhundert entlehnten Begrifflichkeit nicht mehr angemessen erfassen lassen. Im Kontext der 'digital tribes', die sich in wechselnden virtuellen Räumen zu immer neuen kommunikativen Netzwerken und Öffentlichkeiten vergesellschaften, entsteht offensichtlich eine hochfluide Form von Sozialität, für die angemessene Kategorien erst noch entwickelt werden müssen. [13] Ob Intellektuelle in diesen kollaborativen Netzöffentlichkeiten zukünftig noch eine Rolle spielen werden, oder ob sich an ihrer Stelle nicht Varianten einer bisher unbekannten 'Schwarmintelligenz' bzw. eine neue, internetbasierte Wissenskultur ausbilden werden, [14] ist derzeit eine offene Frage.
Anmerkungen
[1] Zu den mit den Begriffen der Mediennutzung und -kommunikation verbundenen Forschungskonzepten Hans-Jürgen Bucher / Thomas Gloning / Katrin Lehnen (Hg.): Neue Medien – neue Formate: Ausdifferenzierung und Konvergenz in der Medienkommunikation, Frankfurt am Main 2010; Irmela Schneider / Christina Bartz (Hg.): Formationen der Mediennutzung I, Bielefeld 2007; Philipp Müller: MedienAneignungen. Vom Reiz der Medien, ihren Oberflächen und ihrem Gebrauch, in: SOWI 4 (2005), 4-13.
[2] Hierzu zuletzt: Darron M. McMahon / Samuel Moyen (Hg.): Rethinking Modern European Intellectual History, Oxford 2014. Zum Forschungskonzept der Cambridge School: Martin Mulsow / Andreas Mahler (Hg.): Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte, Frankfurt am Main 2010.
[3] Zur Programmatik und Reichweite netzwerktheoretischer Ansätze in den neueren Kulturwissenschaften etwa Jürgen Barkhoff / Hartmut Böhme / Jeanne Riou (Hg.): Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne, Köln / Weimar / Wien 2004. – Mit besonderer Berücksichtigung der Bedeutung von Netzwerkanalysen für die Geschichte von Intellektuellen François Beilecke: Netzwerke und Intellektuelle. Konzeptionelle Überlegungen zur politischen Rolle eines zivilgesellschaftlichen Akteurs, in: ders. / Katja Marmetschke (Hg.): Der Intellektuelle und der Mandarin. Für Hans Martin Bock, Kassel 2005, 49-65; Richard Faber / Christine Holste (Hg.): Kreise – Gruppen – Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziationen, Würzburg 2000; Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung, Tübingen 2003. – Zur "Kultur der Kommunikation" in der europäischen Gelehrtenrepublik der Frühen Neuzeit Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Kultur der Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing, Wiesbaden 2005; zum konzeptionellen Profil der neueren Kommunikationsgeschichte Volker Depkat: Kommunikationsgeschichte zwischen Mediengeschichte und der Geschichte sozialer Kommunikation. Versuch einer konzeptionellen Klärung, in: Karl-Heinz Spieß (Hg.): Medien der Kommunikation im Mittelalter, Stuttgart 2003, 9-48.
[4] Die ursprünglich von Dieter Henrich initiierte Konstellationsforschung dürfte sich für den hier angedeuteten Zugang zur Geschichte der Intellektuellen als fruchtbar erweisen: Martin Mulsow / Marcelo Stamm (Hg.): Konstellationsforschung, Frankfurt am Main 2005.
[5] Als Fallstudie zur kommunikativen und medialen 'Aneignung' des Zeitungswesens im 18. Jahrhundert durch die Gelehrten dieser Zeit auch Hedwig Pompe: Zeitung / Kommunikation. Zur Rekonfiguration von Wissen, in: Jürgen Fohrmann (Hg.): Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert, Wien / Köln / Weimar 2005, 155-302, hier: 276-302; ferner Holger Böning: Weltaneignung durch ein neues Publikum. Zeitungen und Zeitschriften als Medientypen der Moderne, in: Johannes Burkhardt / Christine Werkstetter (Hg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, München 2005, 105-134, hier: insbesondere 119-122. – Zum 20. Jahrhundert in diesem Zusammenhang auch Michel Grunewald (Hg.): Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960), Bern 2002.
[6] Zur 'Kulturgeschichte medialer Umbrüche' auch Horst Wenzel / Wilfried Seipel / Gotthard Wunberg (Hg.): Audiovisualität vor und nach Gutenberg. Zur Kulturgeschichte medialer Umbrüche, Wien 2001.
[7] Vgl. Cornelia Bohn: Schriftlichkeit und Gesellschaft. Kommunikation und Sozialität in der Neuzeit, Opladen 1999. – Zur Mediengeschichte der Frühen Neuzeit jetzt Andreas Würgler: Medien in der Frühen Neuzeit, München 2009; ferner: Fabio Crivellari / Kay Kirchmann / Marcus Sandl / Rudolf Schlögl (Hg.): Die Medien der Geschichte: Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004; Fabio Crivellari / Marcus Sandl: Die Medialität der Geschichte. Forschungsstand und Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Geschichts- und Medienwissenschaften, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), 619-653.
[8] Hierzu im Einzelnen die Beiträge in Burkhardt / Werkstetter (Hg.): Kommunikation (wie Anm. 5); Wolfgang Behringer: Communications Revolutions. A Historiographical Concept, in: German History 24 (2006), 333-347; Michael North (Hg.): Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts, Köln 1995.
[9] Leander Scholz: Die Humanisten als Medienexperten, in: Fohrmann (Hg.): Gelehrte Kommunikation (wie Anm. 5), 48-66; Caspar Hirschi: Die Erneuerungskraft des Anachronismus. Zur Bedeutung des Renaissance-Humanismus für die Geschichte politischer Öffentlichkeiten, in: Martin Kintzinger / Bernd Schneidmüller (Hg.): Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter, Stuttgart 2011, 385-431.
[10] Hierzu Helene Harth: Überlegungen zur Öffentlichkeit des humanistischen Briefs am Beispiel der Poggio-Korrespondenz, in: Heinz-Dieter Heimann (Hg.): Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, Paderborn 1998, 127-133; Franz Josef Worstbrock (Hg.): Der Brief im Zeitalter der Renaissance, Weinheim 1983.
[11] Leander Scholz: Das humanistische Kommunikationsmodell, in: Fohrmann (Hg.): Gelehrte Kommunikation (wie Anm. 5), 67-99. – Mauelshagen plädiert in diesem Zusammenhang dafür, diese Entwicklung nicht teleologisch zu verstehen, sondern den Korrespondenznetzwerken der frühneuzeitlichen Gelehrten im Hinblick auf die in ihnen praktizierte "Nachrichtenpolitik" eine bis ins 18. Jahrhundert stabil bleibende Eigenbedeutung beizumessen; Franz Mauelshagen: Netzwerke des Vertrauens. Gelehrtenkorrespondenzen und wissenschaftlicher Austausch in der Frühen Neuzeit, in: Ute Frevert (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003, 119-151; Franz Mauelshagen: Netzwerke des Nachrichtenaustauschs. Für einen Paradigmenwechsel in der Erforschung der 'neuen Zeitungen', in: Burkhardt / Werkstetter (Hg.): Kommunikation (wie Anm. 5), 409-425.
[12] Generell hierzu Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990 [erstmals Darmstadt 1962] sowie – konzeptionell weiterführend – ders.: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main 1992, 399-467.
[13] Vgl. Rainer Winter: Widerstand im Netz. Zur Herausbildung einer transnationalen Öffentlichkeit durch netzbasierte Kommunikation, Bielefeld 2010, 75-110, hier: speziell 11f.
[14] Zur spezifischen "Wissenskultur des digitalen Zeitalters" Daniela Pscheida: Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Bielefeld 2010, 413-435.