Intellektuellenkommunikation als Forschungsfeld

Globalität und Transnationalität

Friedrich Jaeger

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Die Aspekte der Globalität und der Transnationalität der Intellektuellenkommunikation bilden den dritten Aspekt der hier dargelegten Forschungsperspektive. [1] Zu überwinden ist die Beschränkung auf den Intellektuellentypus, der sich im Zeichen der westlichen Moderne herausgebildet hat. Stattdessen ist zu fragen, welche Formen von Intellektualität sich in anderen Kulturen – in Afrika und Asien ebenso wie in Lateinamerika oder im arabischen Raum mit islamisch geprägten Gesellschaften – herausgebildet haben.

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Es geht um die Rekonstruktion der geistigen Traditionen und gegenwärtigen Akteursrollen von Intellektuellen vornehmlich in solchen Kulturen und Gesellschaften, in denen es sie nach westlichem Muster gar nicht gibt. Insbesondere ist zu untersuchen, welche Äquivalente dieser sozialen Figur existieren, welche Semantiken, Gesellschaftsvorstellungen sowie Formen von Reflexion und Kritik in den entsprechenden intellektuellen Milieus dominieren und innerhalb welcher Wissenschaftsdisziplinen, Kommunikationsmedien oder auch literarischer Gattungen sie sich zur Geltung bringen. Zu erbringen wäre dabei eine interkulturelle 'Übersetzung' des westlichen Intellektuellentypus, um den gegenwärtigen Diskussionen über die multiple Struktur von Entwicklungspfaden in diesem Punkt eine solide Forschungsbasis zu geben. Erst mithilfe einer derart komparativen Ausrichtung könnten die Formen der Wissenskommunikation und die ihnen entsprechenden intellektuellen Denkstile in ihrer kulturellen Pluralität erschlossen werden. Ein wichtiges Beispiel dafür wären etwa die vor einigen Jahren aufgetretenen Rebellionen im arabischen Raum, die sich daraufhin untersuchen lassen, welche intellektuellen Akteure und Gruppierungen sich an ihnen beteiligen; mithilfe welcher Kommunikationsmedien sie Einfluss auf das Geschehen genommen haben; und schließlich: welche Rolle die digitalen und sozialen Medien dabei gespielt haben.

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Historisch gesehen lässt sich bereits bei den Intellektuellen der Frühen Neuzeit eine Tendenz zur Internationalisierung von Kommunikation im Zeichen einer 'kosmopolitisch' ausgerichteten Gelehrtenrepublik ausmachen. Hierzu gehören die bereits erwähnte grenzüberschreitende Gelehrtenkorrespondenz der Humanisten oder die Tradition der akademischen Studien- und Gelehrtenreisen, der peregrinatio academica bzw. peregrinatio erudita. Auch die aufklärerische Idee des Weltbürgertums im Sinne Kants [2] stellt auf die letztlich globale Ausrichtung von Intellektuellen ab, war doch für Kant ein Gelehrter jemand, der – wie er sagt – "durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt, spricht". [3] Auch die im Kontext des Historismus seit Herder und Ranke ausgearbeiteten Vorstellungen einer Einheit der Menschheit in der Vielfalt ihrer Kulturen [4] zehrten in der Epoche einer zunehmend nationalen Organisation von Wissenskulturen von diesem transnationalen Erbe der neuzeitlichen Intellektuellenkommunikation. [5] Und selbst noch die im 20. Jahrhundert wirkungsreichen Stereotype der 'heimatlosen' Intellektuellen oder Mannheims Begriff der 'freischwebenden Intelligenz', [6] die sich einer klaren Zuordnung entziehen und partikulare Zugehörigkeiten intellektuell transzendieren, spiegeln die transnationale Orientierung dieser sozialen Figur.

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Derartige Prozesse einer Internationalisierung von Intellektuellenkommunikation besitzen freilich keine teleologische Struktur im Sinne einer stetig voranschreitenden kosmopolitischen Universalisierung. Vielmehr gilt es historisch gleichermaßen danach zu fragen, welche Dynamiken der medialen Erweiterung von Kommunikationsräumen und der Intensivierung interkultureller Austauschprozesse sich ausmachen lassen, aber auch danach, welche gegenläufigen Entwicklungen der Abschottung oder der Verengung historisch wirksam geworden sind. Es wäre also zum einen zu untersuchen, wie die Intellektuellen seit dem Humanismus und der Frühen Neuzeit interkulturell – und in gewisser Weise auch proto-global [7] – interagiert haben. Welche interkulturellen Netzwerke sind dabei für die verschiedenen Epochen der Intellektuellenkommunikation prägend gewesen? Wie haben sie miteinander kommuniziert und welche Konzepte transnationaler Öffentlichkeit haben sie ausgebildet?

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Damit sind einige Überlegungen und wissenschaftlichen Trends skizziert, die dem hier skizzierten Thema 'Intellektuellenkommunikation als Forschungsfeld' zugrunde liegen. [8]

Anmerkungen

[1] Hierzu bereits Christophe Charle / Jürgen Schriewer / Peter Wagner (Hg.): Transnational Intellectual Networks. Forms of Academic Knowledge and the Search for Cultural Identities, Frankfurt am Main 2004. – Speziell zu den im Kontext der neuen digitalen Medien auftretenden Globalisierungsschüben Andreas Hepp / Friedrich Krotz / Carsten Winter (Hg.): Globalisierung der Medienkommunikation. Eine Einführung, Wiesbaden 2005; Rainer Winter: Widerstand im Netz. Zur Herausbildung einer transnationalen Öffentlichkeit durch netzbasierte Kommunikation, Bielefeld 2010.

[2] Vgl. Immanuel Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: ders.: Werkausgabe, Bd. 11: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1, hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1977, 33-50.

[3] Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, in: ders.: Werkausgabe, Bd. 11: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1, hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1977, 53-61, hier: 57.

[4] Vgl. Jörn Rüsen: Mensch, Menschheit, in: Friedrich Jaeger (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 8, Stuttgart 2009, 327-340, hier: 337ff.

[5] Zu Geschichte und Gegenwart transnationaler Intellektuellennetzwerke auch Charle / Schriewer / Wagner (Hg.): Networks (wie Anm. 1).

[6] Karl Mannheim: Wissenssoziologie, Neuwied / Berlin 1964, 455. – Hübinger ordnet den Topos dagegen vor allem Alfred Weber zu; vgl. Gangolf Hübinger: Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttingen 2006, 16.

[7] Zur Kategorie des Protoglobalen Peter E. Fäßler: Globalisierung. Ein historisches Kompendium, Köln / Weimar / Wien 2007, 60-73.

[8] Hervorgegangen ist dieses Thema auch aus gemeinsamen Überlegungen von Gudrun Gersmann, Claus Leggewie und dem Autor zur Vorbereitung zweier Tagungen, von denen eine unter dem Titel "Geisteswissenschaften und kulturelles Erbe im digitalen Zeitalter" am 1. / 2. Februar 2010 am Deutschen Historischen Institut in Paris und die andere unter dem Titel "Öffentlichkeit, Medien und Politik – Intellektuelle Debatten und Wissenschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation" am 14. / 15. Februar 2011 am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen stattgefunden hat.

Empfohlene Zitierweise
Friedrich Jaeger, Intellektuellenkommunikation als Forschungsfeld (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002/1), aus: Gudrun Gersmann, Friedrich Jaeger, Michael Rohrschneider (Hg.), Virtuosen der Öffentlichkeit? Friedrich von Gentz (1764-1832) im globalen intellektuellen Kontext seiner Zeit (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00002), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Globalität und Transnationalität (Datum des letzten Besuchs).